Noch vor kurzem war es undenkbar das Hersteller Geld und Zeit in die Entwicklung neuer Mittelklasse-Motorräder investieren.
Die Motorradwelt stand kurz vor Durchsetzung der Euro 5 - Norm für Kräder. Alle Hersteller riefen uns entgegen, dass es zu aufwendig sei, in die Mittelklasse zu investieren und es klüger sei, die bis dato Euro 4 - Modelle mit 1000 ccm im Portfolio zu pushen.
'Ohhhh Stooopppp!', sagte ich, 'Alle Hersteller?'
Naja nicht ganz ...
Ein Team aus Noale von Aprilia dachte sich: "Jetzt erst recht!"
... und schenkte uns den 660 ccm Motor, der uns aktuell in zwei Modellen ein Grinsen ins Gesicht zaubert. RS660 sowie Tuono 660.
Allerdings ist es nicht nur der 660 ccm Motor, der uns geschenkt wurde, sondern vielmehr zwei komplett neue Fahrzeugkategorien aus Italien und somit eine 100%ige Neuentwicklung.
Leider gab es auch im Hause Aprilia Euro 5 - Hürden. Manche Modelle (wie z.b. Shiver und Dorsuduro) fielen leider aus dem Portfolio und man steckte stattdessen Zeit und kostbares Gedankengut in die Entwicklung unserer heutigen beiden Protagonisten.
Dieses neue Grundgerüst der 660 ccm Klasse startet nun seine Reise im Aprilia Portfolio und das inkl. Euro 5 - Norm.
#esgehtalsodoch #dankeaprilia
Aber mal ehrlich:
Hättet ihr gedacht, dass Aprilia sowas tatsächlich umsetzt und uns bei jedem Aufsteigen der 660er Modelle begeistert?
Keine Pressenews - Keine Leaks vorab!
Es gab so gut wie keine Infos zu den neuen Mittelklasse-Motorrädern und plötzlich waren sie da.
Kurze zeit später stehen sie nun auch bei uns in der Redaktion.
Für diesen Vergleich haben wir andere Projekte kurzerhand verschoben und uns im Vorfeld bereits dafür entschieden,
die Track-Performance der Tuono 660 & RS 660 zu präsentieren.
Ausführliche Straßen Tests könnt ihr diesbezüglich, sehr gerne bei den freundlichen Kollegen der Motorrad-News lesen, wir konzentrieren uns nun ausschließlich auf die Track Performance.
Wir haben das Glück, die beiden 660er Schwestern etwas länger behalten zu können und somit nehmen wir euch mit nach POZNAN und RIIJEKA, um dort herauszufinden, wieviel Sport in den kleinen Aprilias steckt.
Links Rijeka / Rechts Poznań
Wir schauen uns zunächst die Tuono an.
Tuonos gibt es von Aprilia bereits seit 2001/ 2002. RSV4 seid 2009 (vorher Mille).
Das Rezept ist immer dasselbe: Man baue einen Racer (in diesem Falle die RS 660), nehme die Verkleidung ab und erhöhe und verbreitere
den Lenker - fertig ist das Naked-Bike.
Ok, so einfach ist es dann natürlich doch nicht.
Lenkkopf und Nachlauf sowie die ECU werden im Regelfall noch angepasst um ein rassiges Sportnaked zu bauen.
Ein echtes Naked-Bike ist die Tuono 660 unseres Erachtens nach übrigens nicht. Dazu ist die Halbschalenverkleidung samt kleiner Scheibe etwas zu präsent. Ist aber auch völlig egal, sie sieht einfach umwerfend aus - auch dank bzw. insbesondere
kleiner Scheibe und Halbverkleidung!
Der Gang ums Motorrad offeriert ausnahmslos schöne Ansichten. Herrlicher Brückenrahmen, schön anzusehende Zweiarmschwinge und ein attraktives Lampendesign vorne und hinten.
Das was bei den V4 Modellen jahrelang versäumt wurde, findet hier bei Marktstart bereits seinen festen Platz. #LED.
Mit signalroten Felgen und einem top integrierten ESD sowie einem oben breiten und nach unten aber schlank zulaufenden Tank -
Design können Sie halt.
Obwohl die Maschine laut Datenblatt recht klein ist (Radstand lediglich 1,37 m), habe ich mit meinen 1,79 m und 130kg ausreichend Platz.
Man sitzt auf der Tuono eher in als auf der Maschine. Die Sitzposition ist wiederum positiv aufrecht und das ganze grenzt fast an die perfekte Sitzgeometrie der z900 aus Japan.
Die RS 660 hingegen versprüht SSP Charme für die Landstraße und das aus jeder Perspektive.
Auch die Sitzgeometrie möchte dieses Flair beibehalten.
Die Fußrasten sind bei der Tuono etwas hoch, aber nicht so hoch und weit hinten wie bei der RS 660. Die Maschine wiegt nur 183 kg (vollgetankt!) und lässt sich dementsprechend superleicht rangieren. Über den Soziuskomfort sprechen wir beim Track-Test natürlich nicht.
Die Tuono 660 hat ein recht kleines TFT-Farbdisplay, das zudem etwas verspielt wirkt. Zeitgleich lässt sich mit Hilfe der Armatur aber auch jegliche Stellschraube stellen, die du stellen möchtest. Somit stellt dies ein grandioses Display dar, welches vom Start weg in die Oberklasse aufsteigt. Bis auf die KTM 890 Modelle ist uns kein Modell mit solch vielseitigem Display und Setup-Möglichkeiten bekannt.
Tuono & RS660 Teilen sich dieselbe Display-Einheit.
Es gibt Ride by Wire und fünf Fahrmodi, von denen drei für die Straße gedacht sind und zwei für die Rennstrecke. Ein Straßenmodus nennt sich "Individual" und er hält, was er verspricht: Man kann gleich fünf Parameter einstellen: Leistung, Traktion, Motorbremse, Wheelie-Control und ABS. Nicht schlecht für ein Naked-Bike der Mittelklasse.
Beide 660er setzen auch im Bereich Elektronik und Fahrassistenzen neue Maßstäbe in ihrer Klasse. Per 100 % Full-Ride-by-Wire System werden die Gasbefehle optimiert und gesteuert. Multi-Mapping und das elektronische Fahrassistenzsystem des aPRC-Pakets - Aprilia Performance Ride Control - mit mehrstufiger Traction Control, Wheelie Control, Cruise Control, Engine Brake und variablem ABS stehen für ein Plus an Performance, Fahrspaß und Sicherheit.
In Serie dabei ist außerdem ein Tempomat, welchen wir heute auf dem Track nicht benötigen.
Optional gibt es außerdem eine Mehr-Achsen-IMU für die Schräglagen-Kontrolle.
Die Tuono kommt im Gegensatz zur RS ohne Serienschaltautomat daher.
Dieser ist aber für geringfügige Mehrkosten beim Fachhändler zu erwerben.
Auch bei der Bremsanlage geht Aprilia in die Vollen. Die Brembos vorne und hinten funktionieren ausgezeichnet und haben mit dem geringen Gewicht der 660er leichtes Spiel. Die Bremse ist bissig und trotzdem gut dosierbar. Die Maschinen und ihre Bremsen performen auf gutem Niveau und auch nach einigen Turns auf dem Track knickt hier nichts ein.
Es macht spaß sich innen am kurven Eingang an den 1000ccm SSP Maschinen hier n Rijeka vorbei zu bremsen und zeitgleich viel früher ans Gas zu können als die Großen Bikes.
aber Achtung, halte deine Kampflinie sonnst sind die Superbikes auf der nächsten geraden wieder an dir vorbei gezogen.
Überraschend gut funktioniert übrigens auch der Windschutz beider Kandidaten. Die kleine Scheibe der Tuono taugt großartig. Der Helm liegt verwirbelungsfrei komplett im Wind und Schultern und Oberkörper sind nahe zu frei vom Winddruck (im Geradeauslauf). Üblicherweise liegt man ja im #Cornermode neben seinem Bike, da hilft auch der top Windschutz nicht.
Der Reihentwin macht per 270 Grad Hubzapfenversatz auf V2 und zumindest, wenn man Gas gibt, wird es soundig-laut! Aber nicht nur die Lautstärke ist betörend gut, auch das Sound-Design ist äußert gelungen.
Motor und Airbox pfeifen bei guter Gangwahl eine top Sinfonie, die jedem gefällt.
Beide Maschinen sind leichter zugänglich als erwartet. Die Gasannahme in den beiden Modi "Commute" und "Dynamik" ist anfängertauglich, erst im Individual-Modus wird es dann direkter und etwas unruhiger. Die Unterschiede der Fahrmodi sind - anders als bei vielen anderen Motorrädern - auch sofort spürbar. Von weich und handzahm bis roh und ruppig ist alles dabei. Das finden wir klasse und echte Racer werden im schärfsten Modus sofort mit echtem Aprilia-Feeling belohnt.
Wir sind natürlich im Track/Race / Challenge - Mode unterwegs.
Beide begeistern mit einem super-agilen Fahrwerk und sind dabei messerscharf. Eine einmal gefundene Linie verfolgen die Aprilias Rasiermesser-like durch die Kurve.
"Be a racer"
Die 95/100 PS stellen sich wie so oft als komplett ausreichend heraus (STVO-Betrieb) und machen die Maschine (Tuono) A2-drosselfähig.
Kein schlechter Schachzug von Aprilia, denn die Zielgruppe für dieses Bike dürfte recht jung sein - und da will man sich nicht alle 2 Jahre eine neue Maschine kaufen müssen.
Aber all das ist hier und heute auf der Rennstrecke unwichtig.
Beschleunigung und Durchzug der Aprilia Tuono 660 sind klassenüblich, fühlen sich aber durch die V2 Imitation irgendwie schneller an. Das liegt vermutlich zusätzlich am omnipräsenten Sound. Das Kayaba-Fahrwerk (Zugstufe & Vorspannung sind vorne und hinten einstellbar) macht einen supersportlichen Job, ohne dass es an Komfort mangeln würde. Gleiches gilt für den Pirelli Diablo Rosso Corsa II, denn genau dieser verbeißt sich in den Asphalt, da wo andere Serienbereifungen vieler Hersteller nur am Belag lutschen, krallt sich das Italienische Duo in den Track-Belag als gäbe es kein Morgen.
Rosso Corsa 2 und die 660er Modelle sind ein Dreamteam.
Aber Achtung! Aprilia bietet für beide Modelle ein offizielles Einstellungs-Setup der Federelemente für den Track-gebrauch.
Jeder Fahrer über 80 kg sollte zwingend dieses Setup nutzen.
Nach ca. 150 Runden auf jedem der zwei Bikes im Testfeld zeigt sich:
Die Tuono lässt einen nicht kalt, sie ist nicht perfekt und das ist auch gut so. Jede Fahrt wird zu einem positiven Erlebnis ...
Man muss dieses Bike einfach mögen. Genauso stelle ich mir ein perfektes Mittelklasse-Naked für den Straßenbetrieb vor.
Design sowie Lautstärke lassen einen Tuono-Biker im STVO-Bereich doch immer positiv aus der Masse hervorstechen (so denkt man jedenfalls im Straßenbetrieb). Hier auf der Rennstrecke ist das allerdings alles nichts wert.
Den hier ist jedes Bike gut und meist edel zugleich, zudem die Fahrer gute Kreisjäger sein müssen.
Um mit der 100 PS Fraktion hier schnell zu sein, benötigst du fahrerische Skills, die du in keiner Runde ablegen darfst,
sonst stehst du hinten in der Schlange.
Hart auf der Bremse und früh am Gas, mit Mut, Können und guter Kurvengeschwindigkeit musst du glänzen, um die Mittelklasse-Aprilias aufs Treppchen zu bekommen.
Die RS will im Gegensatz zur Nacked-Schwester vollkommen wirken ...
Sie will ihrer RSV4 - Schwester gefallen und mit dir Spaß auf der Rennstrecke haben!
Aber was sie will und was sie abliefert sind grundsätzlich zwei verschiedene paar Schuhe.
Bauart- und motorbedingt müssen wir klar kommunizieren, dass du es schwer haben wirst, auf öffentlichen Trackevents mit Sportlern aus Japan gleichzuziehen.
So kommen sie doch meist mit einem Hochdrehzahlmotor und vier Zylindern in Reihe geschaltet an den Start und sind
auch in der 600er - Klasse oft in der Lage, 250 km/h oder mehr (je nach Übersetzung) zu fahren.
Auf Strecken mit langen Geraden wird's also knifflig und du musst dein fahrerisches Können anderweitig unter Beweis stellen.
Aber seht selbst ...
Wir nehmen euch zu zwei gemütlichen Einführungsrunden am Track Poznan mit.
Einführungsrunden stehen bei uns für folgendes ( Strecke kennenlernen und Fahrwerks sowie Reifen Setup herausfahren. ) am Nächsten Tag beginnt dann der eigentliche Tastzirkel.
man sieht aber ganz deutlich im Video das bei Minute 2:40min eine ältere Yamaha R6 auf dem geraden Teilstück ganz easy an der RS660 vorbei kann und diese Teilstücke Bauartbedingt die größte schwäche der Italienerinen sind.
anders wäre dies nun, mit Bauartbedingten Gegnern auf Augenhöhe im Twin Cup zum Beispiel
Als Mittelklasse-Trackbikes sind wahrlich beide Aprilias hervorragend zu benutzen.
Obwohl wir nicht auf der letzten Rille unterwegs waren, zeigt sich das Track-Potenzial der RS ganz deutlich.
Etwas weniger Gewicht und 10 bis 15 PS mehr Leistung wäre für ernsthafte Rennserien allerdings wünschenswert.
Das Aprilia Zubehörprogramm ist riiiieeeeesig und so gibt es noch Potenzial nach oben.
für ca. 3000€ im Zubehörprogramm von Aprilia wäre es sehr einfach möglich das bike noch Renntauglicher zu gestalten und zeitgleich Leistung zu gewinnen und Gewicht zu sparen.
Wir überlegen ernsthaft, uns eine für die Redaktion zuzulegen und damit aktiv an einem Twin Cup teilzunehmen.
Solch ein Vorhaben nimmt man bekanntlicherweise nicht auf sich, wenn das Grundmaterial nichts taugt.
#kurzgesagt #bravoaprilia