T100 und T120 Black Modell 2021
„Bonneville fahren ist nicht nur Motorrad fahren, sondern eine Lebenseinstellung!“
Mit diesen Worten „braddelte“ ein Bonneville-Fahrer davon, den ich gerade auf einem kleinen Parkplatz kennen gelernt hatte und ließ mich beeindruckt stehen.
Ich wusste zunächst nicht genau was er meint. Als allerdings wenig später ein Bonneville T100 und T120 - Vergleich anstand, war ich froh, dass ich mir diese zwei Schönheiten aus dem Modelljahr 2021 vom Hof der Redaktion stibitzen konnte um in die Bonneville-Welt einzutauchen und nun verstand ich.
Obwohl ich in der Redaktion bekannt dafür bin, dass ich den Spirit und Lifestyle von Retro und Klassikbikes mag und diese eindeutig meine Leidenschaft zeigen, war es mir bisher verwehrt, die 'Englische Schiene' diesbezüglich zu fahren und zu erleben.
Nach unzähligen italienischen und japanischen Bikes aus dieser Kategorie freue ich mich nun auf die englische Portion Retro aus diesem Segment.
Als ich die Motorräder abholte, verweilte ich eine ganze Weile vor ihnen und ließ ihre Silhouetten auf mich wirken.
Aus dem Gedächtnis heraus würde ich fast sagen , ich stand / saß ca. eine Stunde bei herrlichstem Wetter vor den Bikes und ließ meine Blicke einfach schweifen, ohne dabei auch nur einmal daran zu denken eines dieser beiden Mopeds zu starten.
Irgendwann kam dann der Zeitpunkt allerdings doch und ich stieg auf die T100, fühlte die Sitzbank und rückte mein Gesäß zurecht,
drückte auf den roten Knopf und begann zu lächeln.
Bassig und wunderschön klang sie und brabbelte genussvoll in bester Stereo-Hi-Fi Manier vor sich hin.
Es umhüllte einen geradezu und begleitete mich während der ganzen ersten Fahrt.
Tatsächlich klingelten mir nach längeren Fahrten die Ohren etwas und in Ortschaften leise zu fahren war eher schwierig. Aber der Klang ist so schön und das Auftreten der Bonnie so freundlich, dass mir in diesen zwei Wochen so viele Kinder gewinkt haben, wie nie zuvor.
Unter Last wird der Sound jedoch kerniger und verrät, dass man es hier nicht nur mit einem Cruiser zu tun hat. Der Klangunterschied zwischen der T100 mit ihren (laut Fahrzeugschein) 94 db und der T120 mit 95 db ist zwar im direkten Vergleich minimal hörbar, aber dafür musst du deine Ohren schon genau spitzen.
Generell blubbert sie gerne entspannt durch die Gegend, wobei es sich lohnt, ab und zu auf den Tacho zu schauen. Selbst der 900er Twin der T100 mit 65 PS hat ein Drehmoment von 80 nm und beschleunigt in entspannten Drehzahlen viel schneller als es sich anfühlt.
Auf der T120 mit 80 PS und 105 nm ist das schon spürbarer und beim Beschleunigen sollte man sich schon etwas mehr am Lenker festhalten.
Obwohl die maximale Drehzahl schon um 500 Umdrehungen erhöht wurde, ist man gerade bei zackigen Überholvorgängen sehr schnell im Drehzahlbegrenzer und muss sich daran gewöhnen, zwischendurch schalten zu müssen. Die T120 kommt mit etwas größerem Lastwechsel als die kleine Schwester daher und macht das Fahren etwas unruhiger. Aber auch das kann den Fahrspaß nicht trüben. Das Getriebe fällt sehr positiv auf und fühlt sich wunderbar sanft an. Fast lautlos und dezent wechseln die Gänge. Die T100 kommt mit ihren fünf Gängen locker aus. Auch der sechste Gang der T120 bleibt eher für schnellere gemütliche Fahrten übrig.
Der Verbrauch pendelt sich bei gemischter, aber nicht sonderlich sparsamer Fahrweise auf 5,5 Liter ein, womit eine Tankfüllung
für ca. 200 km ausreicht.
In kleineren Kurven empfand ich das Fahrverhalten der (gegenüber dem Vormodell vier Kilo leichteren) T100 mit ihren 228 Kilo sehr wendig.
An den Kipppunkt musste ich mich zunächst herantasten, da sich die Maschine im ersten Moment eher steif anfühlte. Letztendlich kippt die Bonnie jedoch sehr kontrolliert in die Kurven und sorgt dabei für ein sicheres Gefühl. Sicherlich spielen dabei auch die Reifen eine Rolle. Auf beiden Testmotorrädern waren zum Stil passende Pirelli Phantom Sportscomp in den Dimensionen 100/90/18 und 150/70/17 montiert, die sich weich und dadurch schnell warm gefahren anfühlten und sich immer ordentlich in den Asphalt krallten.
Die T120 kommt mit ihren 236 Kilogramm etwas schwerfälliger daher und es muss schon etwas Kraft aufgewendet werden, um sie sportlich
durch S-Kurven zu bewegen.
Anbei für euch ein paar Fotos einer Kurvenfahrt.
( zum vergrößern, einfach aufs Bild klicken )
Das Fahrwerk mit der Cartridge-Gabel vorne und zwei in Chrom gehaltenen Stoßdämpfern hinten hat mich sehr positiv überrascht.
Selten habe ich mich auf einem Motorrad dieser Klasse in holprigen Kurven mit schlechtem Asphalt so sicher gefühlt. Sehr elegant bügelt es alle Unebenheiten aus, ohne beim Bremsen weich zu wirken.
Eine für mich absolut perfekte Abstimmung.
Die Bremsen wirkten bei den ersten Bremsversuchen etwas schwammig auf mich, doch bei passender Temperatur der Komponenten gliederte sich alles ordentlich ein und die Bremsen bringen dich schnell und sicher zum Stehen. Nach einigen Kilometern Eingewöhnung merkt man, dass diese harmonische Bremsabstimmung perfekt zum Charakter der Bonneville passt und die Bremsen nicht unterdimensioniert sind. Ganz im Gegenteil: Selbst die einzelne Brembo Zweikolbenbremse, mit der großen 310er Scheibe an der T100, verrichtet sehr gute Arbeit und steht der Doppelbremse der gleichen Dimension der T120 gefühlt in nichts nach.
Unser Bremstest zeigte dann aber doch einen Unterschied von 0,9 m zu Gunsten der T120 bei einer Vollbremsung von 60 km/h zurück auf 0 km/h.
Der Stil der englischen Damen: Im Gegensatz zu anderen Motorrädern ist die Bonneville kein Retro-Motorrad, welches nur aufgrund eines Trends entwickelt wurde. Die erste Bonnie lief bereits 1959 vom Band und konnte trotz vieler Neuerungen und Modellwechsel ihren ursprünglichen Stil über all die Jahre beibehalten. Auch wenn das bedeutet, dass tief in die Trickkiste gegriffen werden musste.
So wurde beispielsweise der Krümmer verblendet, um ihn als ein durchgehendes Rohr wirken zu lassen, welches in
den gewohnt geformten Endschalldämpfern endet. Sogar eine Vergaserattrappe kommt zum Einsatz.
Auch der Scheinwerfer kommt noch ohne LED aus und wirft trotz Halogen ein sehr weißes helles Licht auf die Straße, welche so gut wie perfekt ausgeleuchtet wird.
Triumph legt viel Wert auf Stil und Style, das wissen wir natürlich.
Und die anschmeichelnden Linien der beiden Protagonisten im Test könnten schöner kaum sein.
So verwundert es kaum, dass bei jeder Fahrt neue Details oder das Triumphlogo auf Tachos, Fußrasten, Lenkern, Tankdeckeln entdeckt werden.
Für Individualisten gibt es allein für die Bonneville über hundert Zubehörteile. Von Deckelchen über Gepäcksysteme bis hin zu ganzen Heckumbauten ist für jeden etwas dabei.
Die Bonnie kommt natürlich mit allen modernen Funktionen, wie ABS, ESP und Bordcomputer einher, welche über die zwei kleinen Displays im Tacho sehr übersichtlich zu bedienen sind. Sehr einfach gehalten wird über einen ausreichend großen Knopf durch das Menü navigiert und durch längeres Halten des Knopfes der jeweilige Menüpunkt gewählt und bearbeitet. Zusätzlich verfügt die T120 über einen Tempomat und die Möglichkeit zwischen den Fahrmodi Road und Rain zu wechseln.
Bei der Fahrt aufgefallen: Die Griffe der beiden Modelle sind sehr dick und damit vor allem auf längeren Touren wirklich angenehm. Aufgrund dessen fiel nur das Festhaken des Daumens während des Schaltens in der Beschleunigung schwer.
Im Stadtverkehr ist die T100 ausgesprochen gut zu bewegen, wohingegen die T120 Tempi um die 30 oder 50 km/h nicht sonderlich mag und es schwierig wird, einen Gang zu finden, in welchem sie sich wirklich wohl fühlt. Ab 65 km/h ist sie in ihrem Wohlfühltempo und rollt bequem dahin.
Die T120 Black sieht in ihrem matt schwarzen Look wirklich gut aus. Der Lack ist jedoch sehr empfindlich. Lackabplatzer am Auspuff und kleine Kratzer am Tank lassen erahnen, wie das Motorrad nach wenigen Jahren aussehen wird. Auch das Putzen ist nicht gerade ein Vergnügen, da jeder Tropfen prompt einen Wasserfleck und jede Berührung einen Fingerabdruck hinterlässt. Obwohl das Motorrad eine sehr alltagstaugliche Maschine ist, habe ich sie daher aus Angst, sie zu verkratzen weder im Regen gefahren noch meinen Tankrucksack aufgeschnallt. Die Sitzposition ist relativ niedrig und damit ebenfalls sehr gut für kleinere Menschen geeignet. Mit meinen 1,86 m fand aber auch ich sehr gut Platz.
Bei Fahrten zu zweit wird es schon ein wenig enger.
Mein Fazit: Die Bonneville ist und bleibt eine Legende und wird es auch noch sein, wenn viele andere Retro-Motorräder schon längst wieder in der Versenkung verschwunden sind. Sie ist nicht nur wunderschön, sondern auch funktionell, für jede Alltagsfahrt und jede Mehrtagestour bereit und bringt stil- und zielsicher an jeden Ort. Ob die T100 nur die Einstiegsdroge ist oder ob man damit nicht genauso viel oder gar mehr Spaß als mit der T120 hat, lässt sich nur schwer sagen und ist sicherlich Geschmackssache.
Aber eines ist klar: England hat verstanden wie Klassik & Lifestyle gemeinsam vereint werden.
#bravotriumph