Text/Fotos Torsten Timm
Nun hat es tatsächlich 120 Jahre gedauert bis ich endlich eine „ Indian“ Probe fahren - und ausgiebig testen konnten…und was für Eine !!!
Die Indian Super Chief Limited Maroon bildet die Spitze der brandneuen Chief Modelle und ist praktischerweise gleich zwei Motorräder in einem. Warum das so ist, lest ihr im folgenden Testbericht.
Indian Super Chief Limited Maroon
Da steht sie also direkt vor mir, die neue „ Indian Super Chief " in ihrer vollen Pracht. Rundum modernste LED-Technik in Sachen Beleuchtung erfreut die Augen des interessierten Betrachters. Der dunkelrote Metalliclack und das Chrom schimmern im gleißenden Sonnenlicht um die Wette.
Eigentlich wäre es in der Werkstattgarage gerade wesentlich angenehmer, statt hier in der prallen Sonne, aber was soll`s, schließlich habe ich 120 Jahre gewartet darauf gewartet. Die Einweisung in die Funktionen der Maschine sind schnell erledigt, der Schlüssel für das Keyless-Go-System fix in der Tasche verstaut und kurze Zeit später bläst mir der kühlende Fahrtwind durch die Lüftungsöffnungen meiner Kombi. Im Standard Fahrmodus bobbere ich gemütlich aus der Stadt hinaus, untermalt vom sonoren Klang des luftgekühlten Thunderstroke 116 Motors.
Der liefert, neben den rechnerischen 1901ccm (Indian gibt abgerundete 1890ccm an), gewaltige 162 Nm Drehmoment, sowie 88 PS Leistung für ausreichenden Vortrieb in allen 6 Gängen ans Hinterrad. Dabei wird diese Kraft, über einen wartungsarmen Zahnriemen übertragen. Schaltet sich das Getriebe zu Beginn der Fahrt, bei kaltem Motor noch ein wenig hart, ändert sich diese Charaktereigenschaft mit steigender Motortemperatur recht zügig. Die Gänge flutschen und nach der letzten roten Ampel der Stadt biege ich, mittlerweile vom Stopp and Go Verkehr leicht angeröstet, auf die Schnellstraße ein.
Zeit, um die Kupplungshand ein wenig zu entspannen, denn leider hat man bei Indian zwar eine leichtgängige Kupplung, aber als Handhebel nur die nichteinstellbare Standardware verbaut. Die Hebel stehen zudem recht weit ab, was Leuten mit kleinen Händen nicht wirklich Freude machen dürfte. Der ebenfalls vorhandene Tempomat indes und die beiden weiteren Fahrmodi ( Tour und Sport ) funktionieren hingegen superb.
Wobei man beim Switch von Standard auf Tour nur wenig Veränderungen spürt. Beim Anwählen des Sportmodi ist allerdings durchaus Vorsicht geboten, denn wenn man die ganze Zeit gemütlich vor sich hin gerollt ist, überrascht diese Stufe beim Gas anlegen mit echten „BadAss – Allüren‘‘. In diesem Modus steht die volle Power dabei am Gasgriff direkt zur Verfügung und schießt dich regelrecht in eine andere Dimension.
Und wo wir schon einmal beim Thema Dimensionen sind! Es ist toll das Indian in Sachen Windshield verschiedene Fahrergrößen im Auge hatte. Für mich sind die Verwirbelungen hinter der montierten Touringscheibe ab 100 km/h nämlich wirklich gruselig. Um genau zu sein so schlimm, dass die Scheibe das Erste war, was ich nach meiner Ankunft zu Hause demontiert habe. Die Demontage gestaltete sich kinderleicht und die Maschine gefiel mir ohne das Schild sogar noch besser. Doch wie gesagt, Indian hat mitgedacht und so bin ich mir ziemlich sicher, dass eine der sechs zur Verfügungen stehenden Scheibengrößen am Ende auch mir passen würde, wenn ich es wollte.
Freies Fahren im Kurvenlabyrinth
Das wahre Gefühl für die Chief kommt natürlich nicht im Stopp and Go Verkehr in der Stadt und auch nicht auf der Schnellstraße. Nein, ihre Stärken spielt sie im Cruising Mode auf den Landstraßen aus. Dabei zeigt sie, dass man auch mit Trittbrettern durchaus sportliche Kurvenradien fahren kann, ohne dass es sofort schrabbt oder kratz. Hier zieht sie schnurgerade durch die Kurven und, dank ihres straff abgestimmten Fahrwerkes, auch zielgenau auf der erdachten Linie. Dabei schießt dir als Fahrer ein unglaubliches Lächeln unter den Helm, denn der Indian Twin untermalt das Herausbeschleunigen aus der Kurve mit seinem Euro 5 konformen V2 Sound. Überhaupt ist der Motor, neben dem ausgezeichneten Fahrwerk und Rahmenkonstrukt, das Herzstück dieser Maschine, und zwar Eins welches die Herzfrequenz des Fahrers definitiv ansteigen lässt. Um dies noch ausgiebiger zu genießen, lasse ich erstmal die nächsten Kilometer entspannte im Sattel des Chiefs weiter laufen.
Nähere Betrachtungen
Nach gut und gerne 250 km haben der Häuptling und ich aber erst einmal genug Strecke hinter uns gebracht und uns eine kleine Pause verdient. Zeit, um die Maschine nochmal eingehender unter die Lupe zu nehmen. Hierbei fällt einer der ersten Blicke, neben dem chromstrotzenden Motor und dem tropfenförmigen Tank, mit 15 Litern Inhalt, automatisch auf das digitale Rundinstrument. Dieses 101 mm große Ride-Command-System, genannte Farb-TFT, lässt sich vielfältig konfigurieren und hat zudem eine integrierte Turn-by-Turn-Navigation. Smartphones werden, bei Bedarf, einfach per Bluetooth eingebunden. Man zeigt damit ganz klar, dass sich TFT und Emotion, mit ein bisschen Aufwand durchaus vereinen lässt. Auf dem Display drehen sich, wenn auch digital, wahrhaftige Zeiger vorm Auge des Fahrers. Allerdings würde es den Rahmen sprengen hier, alle Funktionen aufzuzählen. Probiert die „Chief “ einfach mal selbst und ihr werdet sehen, dass Alles da ist, was man braucht und noch Vieles mehr.
Dabei lässt sich das Cockpit intuitiv, wechselseitig über drei Taster an der linken und rechten Schalteramatur der Maschine bedienen oder auch, leider etwas fummelig mit Handschuhen, direkt am Instrument.
An den Schaltereinheiten finden sich außerdem, noch die Standardknöpfen für Blinker und Zündung und auch die Schalter des Tempomat, sowie aller weiteren Funktionen der Maschinenbedienung. Alles aufgeräumt und in typisch amerikanischem Style. Ein Style der sich in einigen wenigen Details nach hinten hin fortsetzt. Zumindest bei meiner Testmaschine (laut Aussage Indian, war es noch nicht ganz Serie), waren die Kühlrippen des Motors durch den Diamantschliff sehr scharfkantig und nicht entgratet.
Für alle die gerne putzen, um ihr glänzendes Chrom zu genießen, ist hier wirklich Vorsicht für die Fingerkuppen geboten. Die Bremsleitung der vorderen Bremse verläuft, leider ungünstig, über das seitlich angebrachte Lenkradschloss, was das Abschließen fummelig gestaltet. Einige Teile der Elektronik (Laderegler) liegen mehr oder minder ungeschützt im Schlagbereich hinterm Vorderrad. Ja, und wer bei den wertig anmutenden Ledertaschen auf ebenso wertige Verschlüsse hofft wird leider, durch Plastikklicks alla Scout Ranzen, etwas enttäuscht.
Das ist fertigungstechnisch heute nicht mehr unüblich. Es passt aber so gar nicht zum sonst wertigen Auftritt der Maschine mit ihren Metalldeckeln, metallenen Fendern und diesem wunderschön gemachten Motor.
Der springt nach der Pause satt wieder an und es geht entspannt zum nächsten Etappenziel weiter. Der Standardmodus ist dabei mittlerweile mein Blutsbruder, denn er ist weniger aggressiv als die Sport Variante. Außerdem lässt es sich damit gediegen und ohne Lastwechsel durch die Ortschaften rollen. Genug Drehmoment ist so oder so immer vorhanden. Zudem laufen die 1.626 mm Radstand auf den 16 Zoll Speichenfelgen stressfrei, wohin auch immer der Fahrer die breite Lenkstange bewegt. Ein schönes Gefühl das Vertrauen schafft und die Chief von der Masse abhebt.
Zwei Seelen
Und genau das ist es im Grunde genommen auch, was dem Häuptling unter mir seine beiden Seelen verleiht. Denn zum einen ist er mit seinen Satteltaschen und einer Rolle auf dem Heck der perfekte Tourenbegleiter, auf der anderen Seite ist da dieser, nennen wir es mal, krasse Sport Modus und das straffe Fahrwerk bestehend aus einer nicht einstellbaren 46er Gabel und zwei in der Federspannung einstellbaren Federbeinen am Heck, welche die „Indian“ mit etwas Fantasie zum Wild-Horse-Bobber machen, mit dem man am liebsten am nächsten Drag-Race teilnehmen möchte. Die Kombination dessen ergibt eine Faszination, die ich zu Beginn des Testes noch nicht begriffen hatte, da mir Vieles erst einmal, verglichen mit anderen Maschinen dieser Kategorie, merkwürdig vorkam, weil es bei der „Chief‘‘ einfach anders funktioniert.
Fazit
Sich von den Mitbewerbern abzuheben ist immer gut, gerade in der heutigen Zeit des Verschmelzens von so vielen technischen und optischen Teilen. Zudem ist es ein wichtiger Aspekt für die Kaufentscheidung eines Kunden. Mit der „Indian Super Chief Limited“ gelingt das durch die eigenständige Optik der Maschine, aber auch durch das, immer noch luftgekühlte, starke Herz in der Mitte. Daneben machen Rahmen, das Fahrwerk und vor allem auch das Cockpit, die wenigen nicht ganz so gelungenen Punkte wieder wett. Auf diese Art und Weise bringt man also nicht nur ein weiteres Familienmitglied der Chief Modelle auf die Straße, sondern etwas, meiner Meinung nach, sehr Eigenständiges, was den Spirit aus 120 Jahren Firmengeschichte durchaus ins heute transportiert. Gespickt wird das Alles am Ende noch mit einer riesigen Zubehörkette für Individualisierungen.
In diesem Sinne, nehmt selbst Platz im Schoß des „Chief“ auf 660mm Höhe. Fühlt die 335 Kilogramm fahrfertigen Rock ‘n Roll unter euch und lasst euch faszinieren, um euch selbst ein Bild davon zu machen. Ich für meinen Teil war schon immer lieber ein Indianer als Cowboy.
Beste Grüße euer Torsten Thimm direkt aus der Prärie des wilden Südens.