Eine Reiseenduro zum Testen. Nehme ich ja grundsätzlich gerne, da mir diese Motorradart sehr liegt.
Auch wenn meine persönliche Offroad-Praxis meist bei Schotterwegen o.ä. aufhört, mag ich diese Art von Krad einfach. Das liegt primär an der aufrechten und somit für mich bequemen Sitzposition, dazu ein breiter Lenker und kein zu spitzer Kniewinkel. Wenn die Ergonomie und der Sitz passen kann ich damit den ganzen Tag - JA; sogar mehrere Tage am Stück Fahren.
Mein Vorfreude stieg gleich noch etwas mehr, als ich das konkrete Modell erfuhr: was es in der nächsten Woche zu Testen Galt!
Eins von dem Traditionshersteller Moto Guzzi aus Italien.
OK, WOOOW! hmmm, ich kenne die V85T vom Austausch mit Kollegen und bin gespannt.
Habe ich in den letzten Monaten doch viele Reise Motorräder in der Redaktion testen dürften, aber dieses gute Stück fehlt tatsächlich noch.
Eine Guzzi bin ich nun schon weit über ein Jahrzehnt nicht mehr gefahren und die letzte „Erfahrung“ war dazu noch ein altes Schätzchen vom Typ 850er Le Mans. Also immer her damit…
Etwas Vorgeschichte dazu: Moto Guzzi gehört ja landläufig betrachtet zu den Herstellern mit „Charakter“, darunter fällt ja gerne ein anachronistisches Antriebskonzept. Bei den Guzzis ist das der luftgekühlte, längs eingebaute V2.
Modelle wie die V7 oder V9 gefielen den Klassik-Liebhabern, die Motoren kamen allerdings doch sehr schlapp oder nennen wir es, Träge daher.
Das waren nämlich Klassiker, in der ursprünglichen Entwicklung schon Jahrzehnte alt. Konkret hieß das bei den obigen Beispielen maximal 40kW/55PS an Leistung.
Da muss man schon ein ziemlicher Freund des Müßiggangs oder aufrecht sitzender Cruiser-Pilot sein, um das als locker ausreichend zu empfinden. Insbesondere bei einem so großen Motor in einer nicht gerade leichten Maschine. Kurzum: Um eine attraktive Reiseenduro der Mittelklasse auf die Räder zu stellen, braucht es auch einen angemessenen Antrieb.
Das haben die Italiener auch verstanden und für die V85 einen ganz neuen Motor entwickelt. Äußerlich und im Prinzip ganz der alte, also luftgekühlt mit passenden Kühlrippen versehen, aber innen komplett neu konstruiert. Und schon kommt der neue Antrieb trotz identischem Hubraum wie bei der alten V9 (nämlich 853cm³) mit luftigen 59kW/80PS daher.
Damit ist man zwar noch nicht auf dem Niveau der modernen (=wassergekühlten) Antrieben der Mitbewerber, aber zumindest nicht mehr so meilenweit abgehängt wie vorher und hat zudem auch seine „Seele“ (den luftgekühlten Motor) nicht verkauft.
Ich war also sehr gespannt, als ich V85TT aus der Redaktion Abholen durfte.
Der erste Eindruck war direkt: Wow, die sieht aber gut aus! Beim ersten Blick springt einem natürlich direkt die Farbe ins Auge und die ist schon besonders und vor allem Außergewöhnlich.
Exklusiv für die Travel-Variante gibt es nämlich die Farbe „Sabbia Namib“. Anhand des Namib kann man schon auf Wüste schließen und das passt ganz gut. Sieht wirklich klasse aus!
Tolle Akzente setzen dabei die beiden orangenen Streifen, die am Ende des Frontfenders beginnen und über den Tank bis zu den seitlichen Verkleidungen reichen.
Mittig über dem Tank zwischen den beiden Streifen verlängert sich optisch durch mattschwarzen Lack die Sitzbank über das Benzinfass bis zum Lenker. Wirklich klasse!
Zur Travel-Ausstattung gehört neben der besonderen Lackierung noch ein (Kunststoff-) Kofferset mit alufarbigen Blenden, die optisch einen Hauch von Aluboxen versprühen.
Durch den hoch gezogenen Schalldämpfer auf der linken Seite sind diese asymmetrisch aufgebaut, der kleine linke fasst gut 27l, während der größere rechte Koffer ein Volumen von 37l vorhält. Das reicht locker für einen Integralhelm (ich habe Größe XL).
Die Koffer sind mit dem Zündschüssel zu schließen, was man bei einer Werksausstattung auch so erwartet.
Zudem gibt es eine höhere Scheibe, die allerdings nicht höhenverstellbar ist. Hier eine witzige (?) Sache, die ich so bisher noch nicht gesehen hatte: Einen Warn-Aufkleber zum Parken des Fahrzeugs bei Sonneneinstrahlung. Spricht das für die Qualität der Scheibe oder gegen eben diese bei den Instrumenten?
Die beiden Scheinwerfer vorne verbinden sich mit einem Brückenelement, welches als Tagesfahrlicht fungiert und an die ausgebreiteten Schwingen des Guzzi-Adlers erinnert. Schön gemacht, leider ohne Foto (bzw. nur ausgeschaltet).
Also, nun aber bereit für die große Reise?!
Die montierten Michelin Anakee Adventure (in den Dimensionen 110/80-19 und 150/70-17) unterstreichen dabei, dass es auch gerne mal abseits des Asphaltes gehen darf. Natürlich im Rahmen der klassenüblichen Möglichkeiten, sollte man anmerken. Wir sind hier ja nun in einer Gewichtsliga von gut 230kg. Der Tank fasst wirklich ordentliche 23l, womit eine Reichweite von etwa 450km drin ist.
Als Alleinstellungsmerkmal in dieser Mittelklasse setzt die V85TT für die Kraftübertragung übrigens auf einen (wartungsfreien) Kardan, der sich im Praxisbetrieb wunderbar neutral verhält. Sicher ein weiteres gutes Argument für die V85.
Nach all der äußerlichen Betrachtung und Feature-Hopping wird es nun wirklich Zeit, die Sache vom Sitz heraus zu betrachten. Also gleich mal auf meine Haus-Teststrecke, die auf knapp 20km pro Richtung ein sehr breites Straßenspektrum abdeckt. Von neuen, perfekt glatten Asphalt mit langgestreckten Kurven über eher räudige Buckelpiste mit sehr engen Knicken, dazu Spurrillen, Dellen und seitlich hängende, mehrfach gesplittete und geflickte Straßen. Da bekommt man recht kompakt mitgeteilt, wie das Krad so tickt.
Direkt nach dem losfahren fallen mir die prima Spiegel auf. Meistens sehe ich eben dort mehr oder minder meine Unterarme und/oder Schulter. Manchmal nur wenig, hin und wieder auch fast ausschließlich. Hier breitet sich in beiden Gläsern fast nur die rückliegende Straße aus, sehr gut.
Neben dem positiven Schnelleindruck gleich etwas zum Kopfschütteln: Was ist denn das für ein Blinkerknopf? Ein merkwürdig teigiger Hebel ohne wirklichen Druckpunkt oder gar Feedback. Ich musste anfangs wirklich jedes Mal die Kontrollleuchte kurz in den Blick nehmen, ob nun der Blinker ein- oder auch ausgeschaltet wurde. Also sowas undifferenziertes hatte ich noch nie am linken Daumen.
Ich meine, natürlich funktioniert der Schalter und nach einigen Schaltvorgängen weiß man halt auch, dass es funktioniert, auch wenn man nicht wirklich was spürt. Aber so schwer kann doch ein simpler Wippschalter nicht zu bauen sein.
Nun gut…
Alle anderen Knöpfchen funktionieren übrigens normal und unauffällig.
Was mir ebenfalls auf den ersten Metern auffällt, ist das im Verhältnis doch eher kleine Display im großen Rahmen. Die Qualität der TFT-Anzeige ist prima, Ja, wirklich Prima ! alles Wesentliche ist gut zu erkennen und Das Display wirft dir Scharfe Details in die Pupille.
Zentral die Geschwindigkeit samt Ganganzeige, drum herum ein runder Drehzahlmesser, dazu km-Stand oder Tripzähler mit Restreichweite, Tankuhr, Temperatur und Fahrmodus. Die wichtigen Kontrollleuchten sind zudem als separate Lämpchen außen herum drapiert, so dass die (Warn-)Info nicht untergeht. Neben dem großen Guzzi-Logo scheint noch sowas in der Art einer angedeuteten Zielscheibe mit Winkelangaben auf den Gehäuseträger abgebildet.
Anscheinend haben die Erbauer dieser Instrumenteneinheit selber bemerkt, dass da doch noch ganz schon viel Platz um das eigentliche Display herum vorhanden ist und sich daher diesen Gestaltungskniff überlegt. Ein größeres Display wäre meiner Meinung nach die feinere Lösung gewesen, Platz ist locker da.
Neben der Instrumenteneinheit gibt es noch einen (mit Kappe abdeckbaren) USB-Anschluss. Somit ist auch für eine Stromversorgung eines montierten Navis oder Smartphones gesorgt.
Bei der ersten kurzen Innenstadt-Etappe fällt dann eine weitere Eigenart auf: Die Ganganzeige verschwindet, wenn man die Kupplung zieht. Das ist nicht so schön, gerade in so typischen Momenten wo man bremsend auf eine noch stehende Kolonne auffährt, zwei Gänge runter steppt und es drei Wagen vor einem schon langsam wieder weiter geht. Kurz kontrollieren, ob man nun schon im gewünschten 2. Gang ist… dank gezogener Kupplung nichts zu sehen.
Ich sage es mal so: Beim eigenen Motorrad hat man das mit den Gängen gut im Gefühl.
Bei unseren Presse Fahrzeugen herrscht allerdings, erst einmal kurz Verwunderung.
Bald schon kam das Ortsausgangsschild und die V85 konnte etwas „freier“ fahren.
Positiv nimmt man sofort die schöne Geräuschkulisse war.
Noch als dezent zu bezeichnen ist der Klang aus dem Schalldämpfer, dabei aber durchaus bassig und mit schönem zu erwartenden V2-Sound. Eine Massage für das eigene Innenohr ohne krawallig und störend für alle anderen daherkommend. Wieder einen Daumen hoch. #gefälltmir
Eine Massage der anderen Art , in form von Wind-Turbolenzen an meinem Helm gab es dann bei höheren Geschwindigkeiten.
Wie meistens bei serienmäßigen Windschildern, passte mir auch dieses Exemplar nicht wirklich.
Dies sehe ich allerdings nicht dramatisch, kenne ich den Effekt doch leider von den meisten Maschinen. Auch bei meinen eigenen Motorrädern bisher ist nirgends das originale Windschild verbaut geblieben. Daher…kurze Gegenfrage an meinen Redaktionskollegen, gute 15cm kleiner ist mein Kollege und siehe da, ( hier passt alles ). Genau das Gegenteil von der Unruhe am oberen Ende ist das Fahrwerk unten am Motorrad. Das arbeitet auf meiner Teststrecke nämlich ganz hervorragend! Hier könnte sich wohl ein Synergie-Effekt innerhalb des Piaggio-Konzerns zeigen, zu dem neben Moto Guzzi u.a. auch Aprilia gehört. Eben dort ist die Kompetenz in Sachen Fahrwerk durchaus bekannt. Das gleich gilt für die Bremsen, auch die arbeiten ausgezeichnet bei der V85TT.
Das hätte ich so nicht erwartet und Fahre die Strecke gleich nochmal um eventuell Kurzschluss Beurteilungen entgegen zu wirken.
#Bravo Moto Guzzi, diese Art von Fahrwerk, mit seinem extrem guten Ansprechverhalten - Sportlichkeit und zeitgleicher Gelassenheit.
Anders ausgedrückt bedeutet das für euch! Mit der V85 fahrt Ihr immer und überall auf Hohem Niveau im Bereich der Fahrwerks-Performance.
Kommen wir zum Motor. Dieses komplette Phlegma der alten Antriebe hat der neue Motor zum Glück abgelegt.
Mit seinen 59kW/80PS samt max. Drehmoment von 80Nm kommt man ganz gut voran, zumal die ganze Kraft-Zubereitung in übersichtlichen Drehzahlen stattfinden. Das Leistungspotential der direkten Konkurrenz einer 800/850er BMW GS oder der 800/900er Triumph Tiger darf man hier aber nicht erwarten. Schon gar nicht den kräftigen Schub einer 850er Yamaha Triples (den ich selber privat fahre).
Aber Hey, was wollen wir hier Äpfel mit Birnen Vergleichen? anderes Motor Concept = anderes Fahr / Ansprechverhalten!
Unten herum und im mittleren Drehzahlbereich kommt die Guzzi ganz gut aus den Hufen und dort bewegen sich 80% der Tourenfahrer, Käufer der V85TT wissen um ihre Vorzüge und Stören sich nicht am fehlenden puschende obere Drehzahlbereich der Italienerin.
Weitergehts im Sattel der Guzzi.
Jaha, Schaltblitze! Hätte ich bei dieser Maschine im übrigen nicht erwartet.
Umso schöner das sie Vorhanden sind, diese tauchen übrigens auch auf der Autobahn im 6. Gang bei etwa 180 km/h auf.
Zu lang übersetzt ist die Maschine also nicht.
Aber so traut man sich dann überhaupt mal Vmax zu fahren, wenn einen dann diese „Warnleuchten“ so anspringen?
Mein Autobahn Wohlfühl-Tempo liegt bei 120-160kmh und das macht die Guzzi hervorragend
Fahrwerksruhe gibt es inklusive.
So ein Feature wie Schaltblitze gibt es am Bike, andere moderne Zutaten wie Schaltautomat oder Anti-Hopping-Kupplung sucht man allerdings vergeblich.
Alles zu verschmerzen und wird auch nicht wirklich vermisst.
Dafür wird der Reisende aber mit einem sehr bequemen und auch optisch hübsch dargereichten Sitzmöbel verwöhnt. Zweifarbige Nähte ziehen sich über die komplette Länge, dazu ein passender kleiner Keil für die Abstützung nach hinten. Wieder einmal sehr gut.
Ein stundenlanger Ritt mit der V85TT Travel? Überhaupt kein Problem auf dem durchaus straffen, aber sehr bequemen Sitz. Auch das habe ich wiederholt ausführlich Erprobt und diese längeren Touren sehr Genossen.
Auch noch kurz testen konnte ich dann ganz ungeplant ein wenig die Offroad-Fähigkeiten. Nein, testen ist hier nicht richtig. Für eine ernsthafte Einschätzung fehlt mir dazu das passende Gelände und zudem auch Enduro-Talent, so dass hier ein Ausprobieren besser passt. Das hat sich eher zufällig ergeben, als ich vom heimischen Teutoburger Wald etwas durch die benachbarte Senne kam und hier eher zufällig einen kleinen sandigen Weg durch ein Stückchen Wald fand. Also eher ein wenig Offroad-light, aber auch diesen kleinen Abstecher meisterte die Guzzi ganz souverän. Die Michelin Anakee Adventure kamen mit diesem Untergrund bestens zurecht und funktionierten auch auf der Straße prima, also insgesamt eine gute Reifenwahl der Italiener.
Haben wir eigentlich schon über MIA gesprochen ?
Lasst mich Sie euch kurzvorstellen :
MIA - die Guzzi-eigene Multimedia-Plattform, die das Smartphone durch die entsprechende App verbindet. Dort kann man dann zusätzliche Infos der Maschine abrufen, den Kundendienst kontaktieren und auch eine Sprachsteuerung soll so funktionieren.
Eine ganz tolle Idee ist die Integration einer Navi-Lösung. Es handelt sich zwar auch hier nicht um eine volle Smartphone-Integration à la Android Auto oder Car Play (was diverse Vorteile mit sich bringen könnte), aber es werden euch hier Fahranweisung angezeigt.
Die Mia App, hat Potenzial, sogar Großes Potenzial.
Stellt euch vor was hier in Zukunft alles zu Implementieren möglich wäre.
Notruf Absetzung - Tankstellen & Service Partner Finder, eventuell sogar eine Vollwertige Navi inkl. Kurven Funktion?
Moto Guzzi steht mit dem Thema,
Multimedia am Motorrad noch am Anfang, ich bin mir allerdings sicher, dass die
Zukunft hier großes bereithält für Freunde der Ausgiebigen und Weiten Fahrten.
Insgesamt betrachtet hat die Moto Guzzi einen sehr guten Gesamteindruck bei mir gelassen, ich war wirklich begeistert mit ihr unterwegs.
Nicht unbedingt jeder braucht an die 100PS bei einem Motorrad, wenn man zudem noch einen wartungsfreien Kardan bevorzugt ist man bei der V85TT (besonders in der hier getesteten Travel-Version) bestens bedient. Der Motor tut unaufgeregt seine Arbeit, im normalen Alltag reicht seine Leistung immer aus. Wenn man ihn immer schön oberhalb von rund 3500 1/min hält, geht es auch mit dem V2 durchaus flott voran.
Wer entspannt weite Touren unternehmen, dazu sehr bequem sitzend die große Reichweite ausnutzen und sich dabei auf ein prima Fahrwerk und Bremsen verlassen will, kann definitiv zugreifen! Ein Reisemotorrad durch und durch. Zudem hat man mit der V85 auch nicht gerade eine Allerweltsmaschine, die an jeder Ecke auf den Parkplätzen steht.
Wirklich gut gemacht, Guzzi!